Predigt von Pfarrer Thoralf Spiess zu Römerbrief 5, 1+2 – Allein aus Gnade
(Den Gottesdienst vom 12. März 2023 finden Sie auch auf unserem Youtube-Kanal – rechts klicken!)
Weil wir also aufgrund des Glaubens gerecht sind, haben wir Frieden, der auch bei Gott gilt. Das verdanken wir unserem Herrn Jesus Christus.
Durch den Glauben hat er uns den Zugang zur Gnade Gottes ermöglicht. Sie ist der Grund, auf dem wir stehen.
Liebe Gemeinde, Patriarch Kyrill I, das Oberhaupt der russisch-orthodoxen Kirche, hat vor wenigen Monaten, also nach dem russischen Überfall auf die Ukraine, gesagt: Wenn ein Mensch in der Ausübung des Militärdienstes
(er meint: im Krieg – aber das darf er ja nicht sagen) – also:
Wenn ein Mensch in der Ausübung des Militärdienstes stirbt, glauben wir, dass dieses Opfer alle Sünden, die dieser Mensch begangen hat, reinwäscht.
Liebe Gemeinde, ich bin darüber entsetzt! Ich kann das nicht glauben! Und dabei ist es mir egal, ob dieser „Trost“, den Kyrill hier scheinbar ausdrücken will, russischen oder ukrainischen oder sonstwelchen Soldaten gilt. Ich kann das nicht glauben, auch wenn ich Bibelstellen kenne, die ähnlich martialische Aussagen treffen, z.B.Joh15,13, wo es heisst: Es gibt keine grössere Liebe, als wenn einer sein Leben für seine Freunde hingibt.
Ich kann das, was Kyrill sagt, nicht glauben! Denn er unterstellt ja mit seiner Aussage jedem Soldaten erst, dass dieser überhaupt so schwer gesündigt hat, so viel Schuld auf sich geladen hat, dass er einer Erlösung durch seinen Opfertod bedürfe! Und das kann ich nicht glauben!
Was sollen denn die jungen Burschen vor ihrer Einberufung schon angestellt haben, ausser dass sie sich geprügelt haben oder einmal zu schnell oder alkoholisiert Auto gefahren sind, oder auch beides gleichzeitig? Und selbst wenn wir jetzt an die verurteilten Straftäter denken, die in der Söldner-Truppe Wagner verheizt werden: Die haben doch hoffentlich einen rechtsmässigen und gerechten Gerichtsprozess hinter sich, so dass sie jetzt nicht zusätzlich noch mit ihrem Leben Sühne leisten müssen?!
LG – ich kann es nicht glauben! Und ich komme auch nicht weiter, wenn ich die Begriffe Schuld und Sünde unterscheide. Es gibt ja die Auffassung, dass vor Gott jeder Mensch ein Sünder ist, einfach, weil niemand sein Vertrauen ganz auf Gott setzen kann, und der Mensch sich damit unweigerlich von Gott entfernt und aus dessen Gesetzesordnungen herausfällt.Diese Auffassung prägt auch die Fragen 3 bis 8 vom Heidelberger Katechismus, die wir eben gehört haben.
Und von dieser Sünde erzählt auch die Schöpfungsgeschichte, in der Geschichte vom Sündenfall, die den Begriff „Erbsünde“ begründet. Das besondere an der Erbsünde ist aber, dass man sie eben, wie der Begriff schon sagt, erbt – und nicht begeht! Niemand begeht die Erbsünde!
Kyrill spricht aber von den Sünden, die jemand begangen hat! Also spricht er eigentlich von Schuld.Er unterstellt den russischen Soldaten pauschal Schuld, wenn er ihnen verspricht, dass ihre „Sünden“ durch den Tod in der „militärischen Spezialoperation“ „reingewaschen“ würden. Er meint damit jedoch nicht, dass die Soldaten schuldig werden, weil sie an dieser Militäroperation, an diesem Krieg teilnehmen,nein, er meint die Schuld, die ein Mensch schon mitbringt, bevor er Soldat wird.
Kyrill hält vermutlich pauschal alle Menschen für schuldig, nur sich selbst nicht … an der Front war er bisher nicht zu sehen. Oder aber: Vermutlich kann er selbst mit seiner Schuld leben. Es geht ihm gut damit: Wenn er anderen Schuld einredet, und diese sich dann opfern, hat er Macht über sie, und das fühlt sich gut für ihn wohl an. Ich weiss, das sind harte Worte …
Liebe Gemeinde – Ich bin wirklich entsetzt und kann so wie der Patriarch Kyrill nicht denken und nicht glauben! Ich weiss aber auch, dass es kein russisch-orthodoxer Sonderweg ist, wenn im Namen von Glaube und Religion Angst gemacht wird oder aber wie hier Erlösung versprochen wird, wenn man Gewalttaten verübt. Und deshalb bin ich auch sehr froh darüber, dass ich in unserer vor 500 Jahren nach dem Evangelium reformierten Kirche so auch gar nicht glauben soll oder sogar gar nicht darf.
Ich empfinde es tatsächlich als eine Befreiung, einer evangelischen Kirche anzugehören, die mir nicht eine derartig schwere Schuld oder Sündenlast zuschreibt, dass ich diese nur mit einem Opfertod sühnen könnte. Ich bin sicher kein Waisenknabe, aber so schlimm ist es auch wieder nicht, dass ich mein Leben opfern müsste, um Gnade vor Gott zu finden. Denke ich jedenfalls …
Und die Bibel bestärkt mich auch in diesem Denken. Es ist massgeblich ein Brief, den Paulus um 55 nChr. an die Gemeinde in Rom geschrieben hatte.Dort gewinnt Paulus zunächst im 3. Kapitel die Erkenntnis:
Kein Mensch ist vor Gott gerecht, weil er das Gesetz befolgt. Vielmehr erkennen wir erst durch das Gesetz, was Sünde ist. Aber jetzt ist Gottes Gerechtigkeit offenbar geworden, und zwar unabhängig vom Gesetz. Das bezeugen das Gesetz und die Propheten. Es ist der Glaube an Jesus Christus, der uns die Gerechtigkeit Gottes zugänglich macht. Der Weg zu ihr steht allen Glaubenden offen.
Und dann schreibt er (das haben wir vorhin als Predigttext gehört):
Weil wir also aufgrund des Glaubens gerecht sind, haben wir Frieden, der auch bei Gott gilt. Das verdanken wir unserem Herrn Jesus Christus. Durch den Glauben hat er uns den Zugang zur Gnade Gottes ermöglicht. Sie ist der Grund, auf dem wir stehen.
Liebe Gemeinde, ich finde, dass man diese Worte klar und einfach verstehen kann. Und dass es auch tröstliche, tröstende Worte sind. Wenn wir uns von Jesus Christus ansprechen lassen, ihm vertrauen, soviel wir können, dann können wir einerseits das Gesetz Gottes verstehen und damit unser Versagen vor Gott erkennen, andererseits aber auch die Gnade sehen, mit der Gott uns trotzdem begegnen will. Und das führt zum Frieden. Zu einem Frieden in uns selbst, unter uns selbst, aber auch mit Gott und vor Gott.
Einen solchen Frieden könnte man auch als Nähe bezeichnen. Abstand hält man ja gewöhnlich von Feinden, während man sich Freudnen friedlich annähert. Das bedeutet: Wenn es uns durch unseren Glauben gelingt, dass wir uns friedlich an Gott annähern, dann sind wir auch auf gutem Wege, der Sünde zu entkommen, denn die Sünde besteht ja im Ursprung in der Entfernung von Gott.
Liebe Gemeinde – noch einmal – ich finde, dass man diese Worte klar und einfach verstehen kann. Und dass es auch tröstliche, tröstende Worte sind. Sie übermitteln uns eine gute Nachricht!
Gute Nachricht! Im Alt-Griechischen heisst das Eu-angelon. Wir nennen das heute Evangelium! Und es ist tatsächlich so: In den Evangelien von Markus, Matthäus, Lukas und Johannes finden wir Gleichnisse von Jesus und Geschichten über ihn, die genau dasselbe vermitteln, wie Paulus in seinem Römerbrief, nur in anderer Form: Die Evangelien erläutern uns Menschen, wie wir allein aufgrund unseres Glaubens an Jesus Christus gerecht vor Gott werden können und damit auch einen Frieden gewinnen, der bei Gott gilt. Wir müssen nur auf Jesus Christus vertrauen und nicht sinnlos unser Leben opfern, um von unseren Sünden loszukommen! Und wir sollen diese Gute Nachricht hören, verstehen, annehmen, aber auch weitererzählen …
Liebe Gemeinde – Aus diesem Grunde wurde das Neue Testament mit seinen 4 Evangelien und den Briefen und den anderen Texten in unzählig viele Sprachen übersetzt, auch ins Russische. Das heisst, auch im Russischen Neuen Testament stehen die Worte des Paulus, über die wir heute nachgedacht haben. Ich habe das extra nachgeprüft und folgendes gefunden:
Поэтому, получив оправдание по вере, мы имеем мир с Богом через нашего Господа Иисуса Христа. Через Него нам верою открыт доступ к благодати, в которой мы сейчас и стоим.
Ich kann diese Worte mit meinem bisschen Schulrussisch verstehen.Hoffen wir, dass diese Worte aus dem Römerbrief wie Texte der Evangelien auch in Russland immer wieder neu erzählt, gehört und auch verstanden und gelebt werden. Hoffen wir, dass bald begriffen wird, dass Krieg nach Gottes Willen nicht sein soll! Hoffen wir, dass niemand mehr auf eine „Erlösung“ hofft, wenn er anderen Menschen Gewalt antut. Amen
Gebet:
Barmherziger Gott, wir suchen deine Hilfe in einer Welt, die von unendlich viel Leid, Schrecken, Gewalt und nicht endender Zerstörung geprägt ist. Krieg, Vernichtung und Tod bedecken das Erdreich und trennen die Völker.
Jesus Christus hat gesagt: „Ich bin das Licht der Welt.“ Darum beten wir für unsere Welt angesichts des Krieges gegen die Ukraine:
Gott, erbarme Dich, wo die Gemeinschaft unter den Menschen zerbrochen ist, weil sie nur auf sich selbst bezogen leben und gleichgültig gegenüber anderen sind.
Gott, erbarme Dich, wo Feindbilder, Ideologien und Unterdrückung einem ganzen Volk den Lebensmut nehmen wollen.
Gott, erbarme Dich, wo Verfolgung und Angst, Folter und Tod das Leben völlig ausweglos erscheinen lassen.
Gott, erbarme Dich, wo Krieg und andauernde Gewalt Menschen an Deiner Liebe verzweifeln lassen.
Gott, erbarme Dich, dass wir nicht ohne Hoffnung bleiben, sondern auf Deine Gegenwart inmitten allem Leid vertrauen.
Darum bitten wir Dich durch Jesus Christus, unseren Bruder und Herrn. Amen.
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