Predigt

Predigt von Pfarrer Thoralf Spiess zur Jahreslosung 2024 – 1. Korinther 16,14: Alles, was ihr tut, das geschehe in Liebe

(Den Gottesdienst vom 7. Januar 2024 finden Sie auch auf unserem Youtube-Kanal – rechts klicken!)

»Alles, was ihr tut, geschehe in Liebe.« (1. Kor 16,14)

LG Was tut ein Mensch nicht alles, wenn er verliebt ist? Er kauft zum Beispiel riesige Blumensträusse, sprüht Graffitis auf Autobahnbrücken, singt laut vor Hausfassaden, klettert Fallrohre hoch … Ihnen fällt bestimmt noch mehr ein …
Aber stellen wir uns mal die Gegenfrage: Was tut man nicht alles, wenn die Liebe fehlt? Damit meine ich nicht, was ein Mensch nicht alles tut, um die Liebe wieder zu erlangen, wenn sie ihm fehlt – sondern: Was ein Mensch so alles tut, wenn er gar keine Liebe hat!
Ein liebloser Mensch hat oft keine Achtung vor anderen, er geht nachlässig mit seinen Mitmenschen und seiner Umwelt um, ja manchmal sogar mit sich selbst …Ein liebloser Mensch denkt nur an sich. Er hat kein Mitgefühl, verletzt andere, missachtet Grenzen, zerstört mutwillig, nimmt Leid und Elend in Kauf …
LG – Alles, was ihr tut, geschehe in Liebe …So schreibt es Paulus an die Gemeinde in Korinth – und es ist als Ermahnung gemeint. Sie steht im Briefschluss, im 16., im letzten Kapitel.Aus den vorangegangenen Kapiteln kann man leicht herauslesen, wie es wirklich um die Gemeinde in Korinth stand.
Es gibt Spaltungen in der Gemeinde, weil nach Paulus andere Missionare gekommen sind und sich die einen nun an Paulus, die anderen an Apollos und wieder andere an Kephas orientieren. Jeder, wie es ihm besser passt … Und es wird über Lebensfragen gestritten, z.B. ob man heiraten oder lieber unverheiratet bleiben soll, ob man sich an die jüdischen Speisegebote halten soll oder nicht. Und es kommt bei den Gottesdiensten zu Spannungen zwischen arm und reich, und wegen einer solchen Frage, ob Frauen auch etwas in der Gemeinde zu sagen haben. Wenn man die Ermahnungen des Paulus liest, kann man den Eindruck gewinnen, dass es in der früh-christlichen Gemeinde ziemlich ruppig zugegangen sein muss. Es »menschelt« also von Anfang an in der Kirche … bis heute. Deshalb ermahnt Paulus die Korinther in seinem Brief zu einem liebevollen Umgang miteinander. Sein ganzes Schreiben mahnt zur Liebe und lobt die Liebe. Ein Abschnitt aus dem 1. Korintherbrief wird sogar als „Hohelied der Liebe“ bezeichnet. Dieses endet mit den bekannten Worten: Nun aber bleiben Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei, aber die Liebe ist die grösste unter ihnen…
Das viele, nahezu hymnische Beschwören der Liebe scheint Paulus sehr wichtig gewesen zu sein, eben weil er wohl erlebt hat, dass sie nicht selbstverständlich ist. Das Leben in der Gemeinde in Korinth war nicht das Paradies, und das weiss Paulus sehr gut. Deshalb sind seine Reden über die Liebe auch nicht »Schönwetter-Reden« oder »Sonntagspredigten«, die mit dem Alltag nichts zu tun haben. Und wir wissen das auch:
Nirgendwo besteht das Leben auf dieser Welt nur aus Liebe. Das ist die bittere Realität. Aber gerade deswegen muss von der Liebe geredet werden, und nicht nur das: Um die Liebe muss gekämpft, gerungen werden. Sie ist, ausser wenn man verliebt ist, nie einfach da.
LG – es muss wohl auch ein Missverständnis ausgeräumt werden: Obwohl alles, was wir tun, mit Liebe zu tun hat, bedeutet das nicht, dass wir immer zu lächeln haben. Es heisst auch nicht, Probleme unter den Teppich zu kehren. Man könnte sogar formulieren: Liebe ist auch … ein klares Wort zu sprechen. Und auch: Liebe ist nicht … zu sagen, Schwamm drüber. Liebe ist nicht … zum Unrecht zu schweigen. Liebe ist nicht … zu allem Ja und Amen zu sagen. Liebe ist nicht … wegzuschauen. Manchmal muss darüber gestritten werden, wie Liebe am besten in die Tat umgesetzt wird. Und es kann sogar komplizierte Situation geben, in denen unterschiedliche Meinungen stehen bleiben. Das konnten wir in den vergangenen Monaten erleben – im Streit um Abstandsgebote und Impfungen … im Streit um Waffenlieferungen Ja oder Nein … im Streit um die Ziele und Methoden der Klimaaktivisten … auch im kirchlichen Streit um sexualisierte Gewalt und queerer Lebensentwürfe …
Aber nicht nur in der Politik und im öffentlichen Leben. Auch privat, in der Familie: Was dient den Kindern am besten? Mehr Freiheiten oder das Setzen von Grenzen? Wie unterstütze ich meine alten Eltern am besten? Immer wird der eine dies und die andere etwas anderes für richtig halten. Es kann sogar vorkommen, dass man sich gegen den Vorwurf, lieblos zu sein, wehren muss, obwohl man doch alles zum Besten versucht hat. Wir bleiben verantwortlich für die Liebe.
LG – Die Liebe kann alles verwandeln. Es gibt ein Gedicht eines mir unbekannten Autors, darin heisst es:
Pflicht ohne Liebe macht verdriesslich.
Gerechtigkeit ohne Liebe macht hart.
Wahrheit ohne Liebe macht kritiksüchtig.
Besitz ohne Liebe macht geizig.
Glaube ohne Liebe macht fanatisch…
Und wir hören heraus und begreifen: Die Liebe ist nicht etwas einzelnes, eigenes,das allen anderen Dingen gegenübersteht. Sondern Liebe ist etwas, das zu allen Dingen hinzukommen – oder eben ihnen fehlen kann. Und je nachdem verwandelt sich ein und dieselbe Sache. Sogar etwas so Gutes wie der Glaube wird ohne Liebe fanatisch, braucht die Liebe, um sich im alltäglichen Leben in Grossherzigkeit und Güte zu verwandeln. Das ist gemeint mit »Alles, was ihr tut, geschehe in Liebe«. Es ist ganz egal, wie unser Alltag aussieht: Ob wir allein leben oder zu zweit oder in Familie, ob wir verliebt oder genervt sind, ob wir uns beruflich um Menschen kümmern oder an einer Werkbank stehen, ob wir alt oder jung sind, ob wir in der Stadt oder auf dem Land leben.
Es geht nicht darum, etwas Bestimmtes zu tun. Sondern das, was unser Leben im Alltag bestimmt, die vielen Aufgaben und Kleinigkeiten, mit Liebe zu tun und sie dadurch verwandeln zu lassen. Die Liebe ist das Band, das uns mit Gott und allen Menschen verbindet. Und die Liebe kann die Welt verwandeln.
LG – Ein Jahr lang soll uns nun diese Jahreslosung begleiten. Ein Jahr lang soll sie uns helfen, uns jeden Tag durch die Liebe verwandeln zu lassen. Damit wir uns an sie immer wieder neu erinnern können, habe ich uns ein kleines Bild ausgedruckt, dass eine Reihe von Menschen zeigt, welche jeweils einen Regenschirm über einen anderen Menschen halten. Es gibt zahlreiche andere Bilder zur diesjährigen Jahreslosung, die oft ein menschliches Herz (meist in roter Farbe) darstellen. Aber dieses Bild hier zeigt m.E. am deutlichsten, dass Liebe kein Kitsch ist, sondern bedeutet: Für den anderen da sein! Amen

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